
Eingang zur Werkstatt
„Fädru“ – Die Seele des Holzes: Der Saaser Stil als Ausdruck gelebter Handwerkskunst
Die Möbelschnitzerei im Saastal entwickelte sich ursprünglich aus dem Eigenbedarf der nahezu abgeschotteten Talbevölkerung. Mit handwerklichem Geschick und künstlerischem Feingefühl entstanden Möbel wie Truhen, Tische und Schreibpulte, die im sogenannten Saaser Stil mit Akanthusblatt-Ornamenten verziert wurden. Dieser Stil, beeinflusst vom italienischen Barock, prägte die Möbelkunst ab dem 18. Jahrhundert.
1912 brachte Peter Marie Zurbriggen die Schnitzerei in den Handel und eröffnete eine Werkstatt in Saas-Fee. Mit der Industrialisierung wurden Möbel aus einheimischem Arvenholz gefertigt und auf nationalen Messen präsentiert. Die Möbelkunst erlebte ihre Hochkonjunktur zwischen 1945 und 1953, bevor der Wintertourismus und wirtschaftliche Veränderungen ab 1951 zu einem Rückgang führten. 1971 schloss die letzte Werkstatt – doch einzelne Schnitzler setzen die Tradition bis heute fort.
Das „Fädru“ – Ein Ornament mit Wurzeln und Flügeln
Im Herzen des Saaser Stils blüht ein Motiv, das zum Markenzeichen wurde: das Akanthusblatt, auf Saaserdeutsch „Fädru“ genannt. Fein geschwungen wie eine Hühnerfeder, ziert es Möbel mit einer fast poetischen Leichtigkeit – nicht bloss Dekor, sondern Identität in geschnitzter Form. Es ist ein stilles Bekenntnis zur Herkunft, zum Tal, zur Kunst.

Vom Nussbaum zur Arve – Der Wandel in der Maserung
Die ersten Stücke wurden aus edlem, importiertem Nussbaumholz gefertigt – dunkel, dicht, ideal für kunstvolle Schnitte. Doch mit dem industriellen Wandel ab 1912 verlagerte sich der Fokus auf das heimische Arvenholz. Dieses helle, duftende Holz wurde nicht nur aus praktischen Gründen geschätzt – es verlieh den Möbeln einen neuen Charakter: freundlicher, leichter, bodenständiger. Werkstattbesitzer kauften Wälder auf, um die Versorgung zu sichern – die Natur wurde zum unmittelbaren Rohstofflieferant für eine wachsende Kunstindustrie.
Schnitzkunst als Lebenskunst
Die Schnitzerei im Saastal war nie bloss Handwerk – sie war Selbstbehauptung und Ausdruck. In der Isolation der Berge formte sich ein Stil, der aus der Not eine Tugend machte. Die Menschen schufen nicht nur Möbel – sie schufen Erbstücke, bleibende Werte, eingebettet in Alltag und Erinnerung. Dass sich dabei ein unverwechselbarer Stil entwickelte, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Hingabe.

Stand am comptoir Lausanne
Vom Atelier zur Ausstellung – Die Geburt einer Marke
Mit der Eröffnung seiner Werkstatt in Saas-Fee machte Peter Marie Zurbriggen das regionale Kunsthandwerk marktfähig. Bereits 1916 erschien sein erster Möbelkatalog, 1923 ein umfangreicher Bildband im Lichtdruckverfahren. Die Möbel wurden auf nationalen Ausstellungen gezeigt – etwa an der Schweizer Mustermesse in Basel, am Comptoir Suisse in Lausanne oder der OLMA in St. Gallen. Der Saaser Stil – einst auf Küchenbänke und Stubenmöbel beschränkt – erlangte überregionale Bekanntheit.
Vielfalt und Vision
Was einst als Truhe begann, wuchs sich zum Gesamtkonzept aus: Betten, Büffets, Blumenständer, Servierbretter, Rahmen – ja, ganze Zimmer wurden im Saaser Stil gestaltet. Die Möbelwerkstätten entwarfen eigene Modelle, liessen sie beim Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum eintragen – der Stil wurde geschützt, bewahrt, weitergedacht.

Erbe in Holz geschnitzt
Die Blütezeit der Saaser Möbelschnitzerei lag zwischen 1945 und 1953 – eine Epoche, in der das Handwerk zugleich künstlerisch und wirtschaftlich aufblühte. Danach verlagerte sich der Fokus: Wintertourismus, neue Einnahmequellen, veränderte Lebensgewohnheiten liessen die Werkstätten nach und nach verstummen. 1971 schloss die letzte offizielle Möbelwerkstatt im Saastal.
Der Saaser Stil ist kein Relikt.
Er ist gelebte Erinnerung.
Ein stiller Widerhall einer Zeit, in der jedes Möbelstück eine Geschichte erzählte – und jeder Schnitzer ein Dichter war, der mit dem Stechbeitel schrieb.
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